HUMOR | ROMANTIK | SPANNUNG
Liebesglück in Irland
von AMELIE WINTER
Liebesglück und Meeresrauschen
2,99 €BAND 6
Stimmungsvolle Wohlfühlromanze, die das Herz erwärmt und Lust auf Irland macht!
Liebesglück und Marzipanküsse
2,99 €BAND 7
Eine Romanze so süß wie Schokopralinen, so fluffig wie eine Marzipantorte und so locker-flockig wie Kokosplätzchen!
Liebesglück und Winterzauber
2,99 €BAND 4
Bezaubernde Irland-Romanze, die zum Träumen einlädt und das Leserherz nicht nur an kalten Wintertagen erwärmt!
Liebesglück und Kaffeeklatsch
2,99 €BAND 1
Locker-leichter Irlandroman, der das Herz erwärmt und ein Lächeln ins Gesicht zaubert!
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Über die Autorin
Amelie Winter
Unter dem Pseudonym Amelie Winter veröffentliche ich seit Jahren romantische Liebeskomödien. Meine Romane sind mal lustig, mal ernst, aber immer mit viel Herz geschrieben.
In der Reihe »Liebesglück in Irland« begebe ich mich auf die Grüne Insel, wo meine eigenwilligen Helden nicht nur die große Liebe, sondern auch sich selbst finden; geschrieben in einem gewohnt lockeren und modernen Stil, der zum Schmunzeln und Träumen einlädt.
AMELIE WINTER
/ Autorin
Sally ist eine erfolgreiche Rechtsmedizinerin und seit jeher auf der Überholspur unterwegs. Als sie über Weihnachten wie jedes Jahr nach Killarney zu ihrer Familie fährt, begegnet sie zum ersten Mal seit langem ihrem alten Freund Jason, mit dem sie zusammen aufgewachsen ist. Der Schwerenöter ist dafür bekannt, den Frauen den Kopf zu verdrehen. Als er mit Sally flirtet, nimmt sie ihn anfangs nicht ernst, schließlich kennen sie sich ewig. Sie lässt sich trotzdem auf ihn ein, denn Sally hat nichts zu verlieren. Ihr perfektes Leben ist nicht so perfekt, wie alle glauben. Sie ignoriert all die Gerüchte, die über Jason kursieren, und stürzt sich kopflos in eine leidenschaftliche Beziehung. Aber kann sie ihm wirklich vertrauen – oder wird er ihr das Herz brechen?
Der bekannte Song »Christmas in Killarney« tönte aus dem Radio. Sally konnte den Text auswendig und sang fröhlich mit. Wie jedes Jahr fuhr sie an Weihnachten nach Hause, aber diesmal kam sie früher. Also hatte ihre Mutter sie darum gebeten, ihr dabei zu helfen, auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein auszuschenken. Denn auch wie jedes Jahr betrieb ihre Mum dort einen Stand.
Killarney lag unter einer hauchdünnen Schneeschicht begraben. Sally genoss es, durchs weiße Land zu fahren. Schnee gab es in Irland selten, weswegen sie sich an den flockig-weißen Wiesen kaum sattsehen konnte. Sie lauschte weiter dem Song, der von Weihnachten in Killarney erzählte, wenn die ganze Familie zusammenkam, Lieder sang und sich beschenkte. Er erzählte von offenen Türen, freundlichen Nachbarn, prasselnden Kaminfeuern und dem Weihnachtsmann, den Groß und Klein kannten. Er kam nicht vom Nordpol, sondern hatte ein Hutgeschäft am Ende der Straße. Onkel John hatten sie ihn früher genannt. Seit etlichen Jahren mimte John O’Brien Santa Claus bei der großen Weihnachtsparade.
Sally liebte Killarney. Dem eigentümlichen Charme dieser Kleinstadt mit den vielen Pubs und Geschäften – die meisten befanden sich im Familienbesitz – konnte sich kaum jemand entziehen. Sie war hier gern aufgewachsen. Die Kleinstadt lag am Lough Leane, der sich mitten im Nationalpark befand. Sally war früher häufig durch die alten Eichenwälder spaziert und auf die hohen Berge geklettert, hatte die Wasserfälle bestaunt und mit der Familie Bootsfahrten unternommen. Sie hatte sich immer gern draußen in der Natur aufgehalten.
Warum war sie dann weggezogen? Weil sie jemand hatte sein wollen. Sie hatte allen zeigen wollen, dass sie nicht verrückt war – und nicht gruselig. Ersteres war ihr gelungen, Letzteres wohl eher nicht. Seit ihrer Kindheit war sie als die gruselige Sally berühmt-berüchtigt! »Creepy Sally« hatten die Kinder sie genannt! Das klang doch so melodisch und ging ganz leicht von der Zunge. Sie hörte heute noch den Chor der Kinderstimmen, der ihr diesen Übernamen zugerufen hatte. Damals war sie fast stolz darauf gewesen, denn sie hatte es nie darauf angelegt, so zu sein, wie alle anderen. Das lag ihr nicht im Blut. Sie hatte allen beweisen wollen, dass sie nicht nur eine große Klappe hatte, sondern dass sie sich ihren Traum auf jeden Fall erfüllen würde.
Und was war ihr Traum gewesen? Kriminalfälle lösen! Sally hatte als Kind liebend gern tote Tiere inspiziert, vor allem Eichhörnchen und Katzen, die plattgefahren auf der Straße ihren letzten Atemzug ausgehaucht hatten. Sie hatte altklug den Todeszeitpunkt anhand des Verwesungsgrads festgestellt. Damals war sie oft mit Jason unterwegs gewesen, aber der Drückeberger hatte sich in den Büschen übergeben, während Sally in den Gedärmen von Nachbars Katze mit einem Stock herumgewühlt hatte. Es hatte sie fasziniert und begeistert, wie ein Körper funktionierte und aufgebaut war. Biologie war ihr Lieblingsfach gewesen, und früh hatte sie gewusst, dass sie mal Medizin studieren wollte. Hatten sich ihre Eltern anfangs sehr gefreut, da sie mal eine Ärztin werden würde, waren sie doch ziemlich geschockt gewesen, als sie verkündet hatte, sich auf Rechtsmedizin zu spezialisieren, was bedeutete, dass sie an Toten herumschnitt und nicht Menschen gesund machte. »Was hast du vor?«, hatte ihre Mum sie stirnrunzelnd gefragt. »Ich untersuche Leichen und stelle die Todesursache fest!«, hatte Sally stolz geantwortet. Daraufhin war ihrer Mum ganz schnell die Farbe aus dem Gesicht gewichen. Ein Arzt heilte Menschen, er rettete Leben! So etwas war sehr ehrenvoll und leicht zu verstehen. Aber Tote obduzieren? Wer wollte so was schon machen? Sally wollte so was machen. Viel eher hatte sie so was immer machen wollen. In letzter Zeit war sie sich nicht mehr so sicher, ob dieser Job wirklich zu ihr passte und ob sie ihn auch weiterhin ausüben wollte. Vor einigen Jahren hatte sie sich noch nicht getraut, diesen Gedanken auszuformulieren, obwohl er schon lange in ihrem Kopf herumspukte. Sie hatte so viel Zeit in ihre Ausbildung investiert, nun war es eindeutig zu spät, das Handtuch zu werfen. Aber es fühlte sich komisch an, endlich ein Ziel erreicht zu haben, wofür man ein Leben lang gearbeitet hatte. Die Euphorie war schnell vorbei gewesen und nun stellte sich Ernüchterung ein.
Sie erreichte das kleine Reihenhaus in Oakdale, das ihre Eltern vor dreiunddreißig Jahren gekauft hatten. Der Gartenzaun und der Hauseingang waren beleuchtet. Ihre Mum übertrieb es gerne mit den Lichterketten. Kein anderes Haus in der Nachbarschaft war so prächtig geschmückt. Von hier aus schaffte es Sally in wenigen Minuten zu Fuß ins Stadtzentrum. Sie parkte den Wagen in der Einfahrt und stieg aus. Natürlich hatte sie einen Schlüssel, denn drinnen brannte kein Licht, und es sah nicht so aus, als würde sie jemand erwarten. War denn jeder auf dem Weihnachtsmarkt? Sie betrat den Flur und ging weiter in die Küche. Das Radio lief – weil ihre Mum es nicht mal ausschaltete, wenn sie das Haus verließ.
»Hallo? Ist jemand zu Hause?«, rief Sally. Sie hatte bestimmt kein Begrüßungskomitee erwartet, aber dennoch hatte sie nicht damit gerechnet, ein leeres Haus vorzufinden. Auf dem Küchentisch klebte ein gelber Zettel. Mit gerunzelter Stirn las sie die krakelige Schrift ihres jüngeren Bruders: ›Wir sind auf dem Weihnachtsmarkt! Hilfe ist willkommen!‹ Wenn Sally nach Hause fuhr, kam das bestimmt keinem erholsamen Urlaub gleich, denn immerzu wurde sie für Arbeit eingespannt – was ihr normalerweise nichts ausmachte. Aber diesmal verzog sie das Gesicht, da sie neben dem Zettel ein Elfenkostüm entdeckte. Allein die rot-weiß gestreiften Strümpfe trieben ihr den kalten Schweiß auf die Stirn. Passte sie da überhaupt hinein? Trug das Kostüm sonst nicht ihre jüngere Schwester, die mindestens zehn Zentimeter kleiner war als sie und eine süße Weihnachtselfe abgab, während Sally sicher nur lächerlich, aber nicht süß aussehen würde. Sally hatte überhaupt noch nie in irgendetwas auch nur annähernd süß ausgesehen.
Das Glühweinausschenken am Weihnachtsmarkt übernahmen für gewöhnlich ihre Geschwister, nur diesmal hatte sich ihre Schwester Helen das Handgelenk verstaucht und war deswegen nicht ganz so geschickt und flink wie sonst. Bestimmt würde sie trotzdem helfen, auch wenn sie nur die Tassen in die Spülmaschine räumen konnte. In der Familie McCarthy packte jeder mit an! So war das schon immer gewesen.
Sally war die Erstgeborene. Ihre Mum war im Alter von zwanzig Jahren mit ihr schwanger geworden. Fünf Jahre später hatte sie ihren Dad geheiratet, und drei Jahre später war Liam zur Welt gekommen, bald darauf Helen. Ihre Geschwister waren beide viele Jahre jünger als sie – und hatten nur Blödsinn im Kopf.
Sally seufzte tief, während sie sich die Sachen genauer anschaute: Da waren eine grüne Zipfelmütze, ein schwarzer Gürtel mit einer goldenen Schnalle und ein grünes Kleid mit einem roten Saum, das ihr vermutlich nur knapp bis zu den Knien reichte. Sie würde sich hier umziehen und dann in diesem albernen Aufzug bis zum Weihnachtsmarkt spazieren müssen.
Sally zögerte nicht länger, schnappte sich das Kostüm und ging damit hoch in ihr altes Kinderzimmer. Sie schlüpfte hinein und stellte sich vor den Spiegel. Verdrießlich betrachtete sie ihr lächerliches Outfit und huschte dann die Treppen hinab. Die ockergelbe Daunenjacke verdeckte einen Großteil des Kostüms und passte, genau wie die braunen Lammfellstiefel, so gar nicht zu den rot-weiß gestreiften Strümpfen. Aber leider nahm ihre Mum Weihnachten sehr ernst, sie nahm das Weihnachtsgeschäft sehr ernst – und lustige Kostüme lockten Kunden an! Mit einem Glühweinstand ließ sich eine Menge Geld verdienen, und mit dem Verkauf von Getränken aller Art – auch alkoholischen – kannte sich ihre Mum bestens aus. Sie führte einen kleinen Lebensmittelladen im Stadtzentrum, den sie von ihrem Vater übernommen hatte. Von morgens bis abends stand sie hinter der Kasse und kümmerte sich fast ganz allein um ihr winziges Geschäft. Sie war ein wahres Energiebündel, nichts schien sie zu ermüden, und Sally war ihr ähnlich – das behauptete zumindest jeder. Als sie stolz den Wunsch geäußert hatte, Medizin zu studieren, waren alle überrascht gewesen. Vermutlich hatten ihre Eltern geglaubt, sie würde mal den Laden übernehmen, hatte sie früher dort doch ständig ausgeholfen, aber Sally hatte größere Träume gehabt! Sie hatte die Welt sehen wollen! Dublin war zwar nicht »die Welt«, aber größer als Killarney war die Hauptstadt Irlands schon.
Keiner in der Familie hatte studiert – bis auf Sally. Genau deswegen waren alle so stolz auf sie. Weil sie es geschafft hatte. Weil sie ganz oben angekommen war. Weil sie so erfolgreich war, dass sogar ein Interview mit ihr in The Irish Times erschienen war, das ihre Mum sofort ausgeschnitten, eingerahmt und über den Kaminsims gehängt hatte. Sally hatte bei einer Obduktion nachweisen können, dass ein angeblicher Freitod in Wahrheit ein Mord gewesen war. Der Fall hatte international Aufsehen erregt, da es sich bei dem Opfer um einen hochrangigen Politiker gehandelt hatte.
Sally rannte nun im Elfenkostüm durch die hell beleuchteten Straßen, dabei hatte sie heute Morgen erst einen gerichtsmedizinischen Bericht fertiggestellt und ihn an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Überall waren fröhliche Menschen, kein Wunder, denn glitzernde Lichterketten, kombiniert mit lauter Weihnachtsmusik, machten fröhlich. Sie peilte das Zentrum an. Killarney war eine kleine Stadt. Von einem Ende bis zum anderen maß sie nur an die achthundert Meter. Es war Samstag, was bedeutete, dass die Weihnachtsparade durch die Straßen zog und sich die Stadt auf die Ankunft von Santa Claus vorbereitete, der in seinem Schlitten daherkam. Sally freute sich darauf, Onkel John wiederzusehen. Meist gönnte er sich nach seinem Auftritt beim Stand ihrer Mum eine Tasse Glühwein. Letztes Jahr hatte Sally die Weihnachtsparade verpasst. Sie war erst spät an Heiligabend nach Hause gefahren, gerade noch rechtzeitig, um einen Whiskey zu trinken und sich dann müde ins Bett zu legen, um am nächsten Tag ausgeschlafen zu sein – denn der echte Weihnachtstrubel begann erst am Fünfundzwanzigsten.
Endlich entdeckte sie den Glühweinstand ihrer Mum und huschte hinter die Theke. »Da bist du ja!«, rief ihre Mutter sofort und nahm Sally rasch in die Arme, nur kurz, denn gleich darauf zapfte sie wieder Glühwein. Helen, Liam und ihr Dad waren auch hier. Während Helen dafür sorgte, dass genügend saubere Tassen bereitstanden, war Liam genau wie ihre Mum mit Ausschenken beschäftigt. Die beiden trugen ein Elfenkostüm wie Sally, aber Liam hatte rote Hosen an und keine Strümpfe. Ihr Dad, der Jeans und eine dunkle Jacke trug, fummelte derweil am Heizstrahler herum. Er war dafür zuständig, dass alle Geräte einwandfrei funktionierten. Sally zog die Daunenjacke aus, stopfte sie in ein Fach unter der Theke und machte sich an die Arbeit.
Den Glühwein kaufte ihre Mum beim Winzer, erhitzte ihn dann auf siebzig Grad Celsius und füllte die Weihnachtsmarktbesucher damit ab. Sie selbst war dem Alkohol auch sehr zugeneigt. Einen Eierlikör genoss sie abends besonders gern, zu einem Brandy sagte sie nicht nein, und ein guter Glühwein war ohnehin ihr Lieblingsgetränk, das sie in der Weihnachtszeit nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst gern zubereitete. Sally hingegen trank am liebsten ein herbes Guinness und manchmal einen Bushmills Whiskey, der ihr besser schmeckte als der von Jameson.
Die Sonne war schon längst untergegangen, die Dunkelheit zog ins Land und legte sich über den Weihnachtsmarkt. Die Lichter erstrahlten nun in vollem Glanz. Gleich würde die Parade an ihnen vorbeiziehen. Während Sally den gefühlten tausendsten Glühwein ausschenkte, huschte ihr Blick über den belebten Platz. Die Menschen unterhielten sich, lachten und sangen Weihnachtslieder. Die Iren feierten nun mal gern und ausgelassen.
Sie wollte sich wieder einem Kunden widmen, als sie plötzlich ein vertrautes Gesicht in der Menge entdeckte. Gespannt kniff sie die Augen zusammen. War das etwa Jason? Da der Mann gerade mit einer Frau knutschte und Sally nur sein Seitenprofil im Halbdunkel erkennen konnte, war sie sich nicht sicher, ob er es wirklich war. Obwohl die Tatsache, dass er in der Öffentlichkeit einem Mädchen schamlos die Zunge in den Hals steckte, bereits ein Hinweis darauf war, dass es sich tatsächlich um ihren alten Freund handelte. Er genierte sich nämlich nie! Jetzt lösten sich die beiden voneinander und drehten sich in Sallys Richtung. Er war es tatsächlich. Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht, und eine Wärme breitete sich in ihrem Brustkorb aus, die sie schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Fünf Jahre lang war er im Ausland gewesen, und keiner wusste so recht, wo genau er sich aufgehalten und was er dort gemacht hatte. Sally hatte sich oft gefragt, ob er überhaupt je wieder nach Killarney zurückkommen würde. Er hätte sich doch wenigstens von ihr verabschieden können! Aber dann hatte Helen ihr vor einigen Monaten erzählt, dass er wieder hier war. Begegnet waren sie sich seitdem nicht. Sally fuhr nicht oft nach Hause, da ihr in Dublin die Arbeit über den Kopf wuchs. Am Wochenende erledigte sie Einkäufe, räumte die Wohnung auf und ruhte sich aus. Ihr fehlte oft die Kraft, ins Auto zu steigen und stundenlang von Dublin bis Killarney zu fahren.
Die beiden kamen näher. Die Frau hing an seinem Arm wie eine zu schwere Weihnachtskugel an einem schwachen Ast. Sie war offenbar betrunken, torkelte hin und her, weswegen auch Jason Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten und nicht umzukippen. Früher war er ein Fliegengewicht gewesen, mittlerweile hatte er zugelegt. Aus dem Jungen war eindeutig ein Mann geworden. Sein Körper war nicht mehr schmächtig, die Gesichtszüge markanter, aber das blonde Haar, das sich nicht bändigen ließ, war noch dasselbe.
Plötzlich zwängte sich seine Freundin durch die Menschenmenge, bis sie die Theke erreichte, dabei klammerte sie sich weiterhin an Jasons Arm. Er hatte sich schon immer mitziehen lassen. Nur früher war Sally diejenige gewesen, die ihn hinter sich hergezerrt hatte, wenn sie mit Gummistiefeln durch die Moore gestakst war, auf der Suche nach einer Wasserleiche, die sie zum Glück nie gefunden hatte. Er hatte sich nie beschwert und immerzu gelächelt. Mit Jason hatte sie schon in der Sandkiste gespielt. Zwar konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, aber es gab Beweisfotos. Jede Menge Beweisfotos! Seine Mum und ihre Mum waren beste Freundinnen gewesen, fast zugleich schwanger geworden – und hatten sogar am selben Tag entbunden: am fünfundzwanzigsten Dezember, am Weihnachtstag. Sally und Jason waren zwei Weihnachtsbabys, und er war nie müde geworden zu verkünden, er wäre der Ältere! Tatsächlich war er zwei Stunden früher auf die Welt gekommen. Es gab auch etliche Fotos von ihnen beiden, wie sie unterm Weihnachtsbaum vor einem Cáca Nollag saßen, dem traditionellen irischen Weihnachtskuchen mit den Trockenfrüchten, der bei Sally nur Übelkeit hervorrief. Ihre Mum hatte das Rezept etwas abgeändert und den Kuchen nicht in Whiskey getränkt, sondern in Fruchtsaft. Natürlich mit zwei Kerzen darauf an ihrem ersten Geburtstag, mit vier an ihrem zweiten. Als sie älter geworden waren und der Kuchen schließlich zwanzig Kerzen gehabt hatte – zehn für jeden von ihnen –, hatten sie Mühe gehabt, sie alle auszublasen. Ihre Mütter hatten sich zudem einen Spaß daraus gemacht, ihnen ähnliche Sachen anzuziehen. Es gab Fotos, wo sie im Partnerlook auf der Rutsche saßen. Aber auf fast allen Fotos zog Sally ein hässliches Gesicht, während Jason wie ein Honigkuchenpferd strahlte. So hatte sie ihn immer gekannt: gutmütig, unbeschwert und fröhlich. Nichts hatte ihn erschüttern oder verärgern können. Sein Lächeln hatte er nie verloren – bis heute nicht.
Auch jetzt lächelte er, während seine Freundin endlich die Theke erreichte und lallend einen Glühwein bestellte. Sie hatte heute bestimmt schon genug getrunken! Sally schaute besorgt zu Jason, und erstmals trafen sich ihre Blicke. Er wirkte mindestens so überrascht wie amüsiert, was vermutlich an ihrem lächerlichen Kostüm lag. Sie wappnete sich bereits innerlich gegen einen dummen Spruch, den er sicher gleich loslassen würde. Im Gegenzug würde sie sich über seine Freundin lustig machen, die neben ihm unkontrolliert kicherte. Er wechselte die Freundinnen öfter als Sally ihre Zahnbürsten. Das war schon früher so gewesen, und daran hatte sich offenbar bis heute nichts geändert.
»Hey Sally«, sagte er lässig und quetschte sich nun auch an den Tresen, damit er sich besser mit ihr unterhalten konnte.
»Einen Glühwein!«, lallte die hübsche Blonde erneut.
»Ich denke, deine Freundin hatte schon genug«, sagte Sally und zog die Stirn in Falten. Jason stand eindeutig auf den einfältigen Typ. Sie beugte sich zu Sally herüber und schob ihren gigantischen Busen über die Theke. Das Strickmuster ihres grauen Wollpullovers dehnte sich beachtlich auf der Höhe ihrer Brust.
»Ich bin noch nicht betrunken!«, schimpfte sie.
»Doch, bist du«, meinte Jason und klang plötzlich so liebevoll, dass Sally warm ums Herz wurde. Er war ein guter Kerl, deswegen waren sie so lange befreundet gewesen. Vielleicht waren sie es ja noch, auch wenn sie sich kaum mehr sahen. Sie wusste so viel über ihn, dass es ihr schwerfiel, ihn nicht als Freund zu sehen. Aber nichts währte ewig, die guten Dinge schon gar nicht. So war das eben im Leben. Alles veränderte sich. Die Menschen veränderten sich – und irgendwie auch nicht. Irgendwie blieb alles gleich.
Sally schnappte sich eine Tasse und huschte zur Zapfanlage. Jason würde schon auf seine Freundin achtgeben. Im Gegensatz zu ihr war er kein bisschen betrunken. Bei ihm war sie in guten Händen.
Seine Freundin wärmte sofort ihre hübsch lackierten Finger an der heißen Tasse, die Sally ihr brachte, und grinste selig. Bevor sie einen Schluck nahm, schaute sie sich um. Plötzlich entdeckte sie jemanden in der Menge und winkte energisch.
»Emily ist auch hier!«, rief sie begeistert. Sally konnte gar nicht so schnell gucken, da stellte sie die Tasse ab und machte sich bereits auf den Weg zu ihrer Bekannten. Jason ließ sie zurück, dem das überhaupt nichts auszumachen schien. Der dampfende Glühwein stand verlassen auf der Theke.
»Sie hat dich sitzen lassen«, meinte Sally frech.
»Passiert mir öfter.« Er zuckte lässig mit den Schultern.
»Wirklich …? Bist du nicht wahnsinnig beliebt bei den Frauen?«
Er lächelte charmant. Kurz schaute er zu den beiden, die weiter drüben standen und sich offenbar eine Menge zu erzählen hatten. Dann schwenkte sein Blick wieder zurück zu Sally.
»Ich dachte nicht, dass ich dich hier treffe«, sagte er ernst.
»Ich bin diesmal etwas früher nach Hause gefahren.« Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, war sie ihm auch auf dem Weihnachtsmarkt zufällig über den Weg gelaufen – und auch da hatte er eine Freundin am Arm gehabt.
»Wie läuft’s in Dublin?«
»Gut«, seufzte sie. »Wie läuft’s bei dir? Du hast wieder eine neue Freundin?«
Er lächelte verschmitzt. »Das ist unser erstes Date. Bist du eifersüchtig?«
»Auf wen?«, japste sie. Glaubte er etwa, sie wäre eifersüchtig auf ihn? Offenbar konnte er sich vor Angeboten kaum retten, während Sally schon lange Single war. Die Männer standen nicht bei ihr Schlange.
»Vielleicht wärst du ja gern an ihrer Stelle!« Er deutete auf seine Freundin.
»Das kannst du nicht ernst meinen!«, stieß Sally ungläubig hervor. »Wir zwei? Das funktioniert doch nie!« Sie schüttelte energisch den Kopf. Jason stand sowieso nur auf die Hübschen. Sally mochte vieles sein, aber besonders hübsch war sie nicht. Vielleicht war das auch besser. So konnte sie von vornherein alle oberflächlichen Männer aussortieren, denn wer sich in sie verknallte, tat es bestimmt nicht wegen ihrer tollen Kurven. Für eine Frau war sie recht groß. Ihre Schultern und Hüften waren in etwa gleich breit, aber wo andere Po und Busen hatten, hatte Sally kaum was! Alles an ihr war flach – sogar die Nase! Die saß in der Mitte ihres Gesichts, als hätte sie da jemand hineingedrückt. Als sie ein Baby gewesen war, hatte ihre Mum ihr ein Pflaster auf die Ohren geklebt, damit sie nicht vom Kopf abstanden. Vielleicht hatte sie ihr auch ein Pflaster auf die Nase geklebt?
»Du denkst, wir zwei passen nicht zusammen?« Jason lachte, während Sally die Lippen zusammenpresste und sich um einen grimmigen Gesichtsausdruck bemühte. Vergeblich. Sein Lachen erwärmte ihr Herz. Manchmal sah sie dann den Jungen von damals wieder vor sich, mit den blonden Locken, dem Strahlen in den kastanienbraunen Augen und der unbekümmerten Art. »Unsere Mütter würden bestimmt die Hochzeit planen«, witzelte er.
»Ich werde nicht heiraten«, seufzte Sally. Sie träumte von der großen Liebe – aber nicht von der großen Hochzeit. Die Rolle der Ehefrau passte nicht zu ihr. Das dachte sie zumindest, aber vielleicht irrte sie sich da? Genauso wie sie sich geirrt hatte, dass der Job einer Rechtsmedizinerin zu ihr passte. Leider tat er das nicht. Sally war schon lange unglücklich, auch wenn sie erst seit kurzem den Mut aufbrachte, es sich einzugestehen.
»Bist du immer noch Single?«, fragte er gespannt.
»Sally, hör auf zu flirten und mach dich an die Arbeit …!«, brüllte ihre Mum von der anderen Seite des kreisförmigen Stands zu ihr herüber.
»Mum!«, quengelte Sally. Zwar waren heute etliche Touristen hier, aber viele Leute, denen sie in den letzten zwei Stunden Glühwein ausgeschenkt hatte, kannte sie. In Killarney machte jedes Gerücht schnell die Runde. Sie wollte nicht, dass über Jason und sie getuschelt wurde. Sicher missfiel es ihm, wenn einer noch sagte, er hätte sich auf die gruselige Sally eingelassen! Dabei war sie in Killarney mittlerweile fast berühmt. Die Menschen begegneten ihr mit Respekt.
»Sally, die beiden haben zwei Glühwein bestellt!«, rief ihre Mum und deutete auf ein Pärchen.
»Ist gut!« Sie machte sich wieder an die Arbeit.